Hochsensibilitäts-Forschung

Hochsensibilitäts-Forschung

Der Begriff „Hochsensibilität“ ist seit einiger Zeit in Medien und sozialen Netzwerken viel präsenter als noch vor ein paar Jahren. Geprägt hat die US-amerikanische Psychologieprofessorin und Psychotherapeutin Dr. Elaine N. Aron den Begriff der „Highly Sensitive Person“ (hochsensitive/hochsensible Person) bereits in den 1990er Jahren.

Das Phänomen der Hochsensibilität wurde zum ersten Mal in einem von ihr veröffentlichten Artikel in der psychologischen Fachzeitschrift Journal of Personality and Social Psychology erwähnt.

Dr. Aron veröffentlichte auch eine Reihe von Büchern zu dem Thema; das erste und bekannteste war das 1996 erschienene „The Highly Sensitive Person“ (deutsch: „Sind Sie hochsensibel?“; erschienen im mvg Verlag), abgekürzt als HSP (auch im Deutschen als „Hochsensible Person“). Ich persönlich bevorzuge den Begriff Hochsensitivität, verwende aber hier das geläufigere ‚Hochsensibilität‘.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Merkmal Hochsensibilität ist zwar noch relativ jung, das Phänomen als solches ist, zwar häufig nur am Rande, aber doch immer wieder einmal beschrieben worden.

So zum Beispiel durch den Psychiater C.G. Jung, die Psychologin und Kindheitsforscherin Alice Miller, den Theologen Eduard Schweingruber („Der sensible Mensch“ 1945) oder den Mediziner und Professor für Psychiatrie und Psychotherapie Samuel Pfeifer („Der sensible Mensch“ 2006, erschienen im SCM Hänssler Verlag).

 

Was hat sich seitdem getan?

Ca. 15 – 20% der Menschen sind laut Arons Forschungsergebnissen hochsensibel. Dieser Prozentsatz wird jedoch immer wieder kritisch hinterfragt. Für diese Zahl spricht, dass sie auch bei sämtlichen anderen höheren Säugetieren zuzutreffen scheint.

Die Hochsensibilität (engl. Fachbegriff: Sensory-Processing Sensitivity) wird seither erforscht. Der aktuelle wissenschaftliche Stand beschreibt hochsensible Menschen als Persönlichkeiten, die eine überdurchschnittlich ausgeprägte Reizempfänglichkeit zeigen. Diese erhöhte Reizempfänglichkeit kann zum Beispiel durch bildgebende Verfahren sichtbar gemacht werden. MRT-Aufnahmen der Gehirne von hochsensiblen Menschen zeigen deutlich, dass bei bereits geringen Stimuli eine signifikant höhere Gehirnaktivität verzeichnet wird und auch andere Gehirnregionen aktiver werden als bei nicht-hochsensiblen Menschen (Edit Nov. 2017: Die deutsche Wissenschaftlerin Dr. Sandra Konrad äußert sich jedoch im Rahmen Ihrer Forschungsarbeiten kritisch zur Genauigkeit der MRT-Verfahren bei der Feststellung der Sensory Processing Sensitivity).

Auch scheint bei hochsensiblen Personen die rechtshemisphärische Verarbeitung stärker ausgeprägt zu sein.

Offen bleibt derzeit die Beantwortung der Frage nach dem Ursprung von Hochsensibilität. Wir wissen, dass sich Gehirnstrukturen umweltabhängig entwicklen und auch durch bestimmte äußere Bedingungen verändern können.

Es steht noch zur Debatte, ob Hochsensibilität eine unabhängige, genetische Veranlagung darstellt oder ob sich die erhöhte Reizempfänglichkeit, die die Hochsensibilität definiert, durch bestimmte (eventuell auch schon vorgeburtliche und somit zwar angeborene, aber trotzdem erworbene) Erfahrungen generiert. Insbesondere die Traumaforschung ist hier ein wichtiger, auch in die zukünftige Forschung einzubeziehender Faktor. Einig sind sich aber die Wissenschaftler*innen und Expert*innen, dass Hochsensibilität keine Krankheit, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer Veranlagung ist.

 

Wie kann man Hochsensibilität feststellen?

Natürlich ist es uns nicht allen möglich, unser Gehirn im Magnetresonanzverfahren scannen zu lassen. Trotzdem lässt sich Hochsensibilität anhand bestimmter Hinweise und Erfahrungen im Alltag recht gut feststellen.

Wichtig ist auch eine Abgrenzung zu psychischen Erkrankungen oder erhöhter Sensibilität in schwierigen Lebenssituationen, die auch wieder abklingt, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Dies abzuklären ist zum Beispiel die Aufgabe einer seriösen Beratung für Hochsensible.

Das Spektrum hochsensibler Wahrnehmung reicht von überintensiver Wahrnehmung von Umweltreizen bis zu ausgeprägter Sensibilität für Stimmungen und zwischenmenschliche Gefühle. Hierzu können zum Beispiel eine außergewöhnliche Empathiefähigkeit und hohe soziale Intelligenz zählen. Beides ist aber keine Voraussetzung für Hochsensibilität. Nicht jeder empathische Mensch ist hochsensibel und nicht jede hochsensible Person ist zwangsläufig hoch empathisch. Im Gegenteil, ein hochsensibler Mensch, der stark reizüberflutet ist, hat möglicherweise Schwierigkeiten, einfühlsam zu sein, da er durch den Stress der vielfältigen Reizverarbeitung hoch belastet sein kann. Im Zustand der Entspannung kann dies natürlich wieder anders aussehen. Die Tendenz, Gefühle anderer sehr gut wahrnehmen zu können, ist bei Hochsensiblen aber deutlich vorhanden.

Ein weiterer Hinweis auf Hochsensibilität ist die schnelle Erschöpfbarkeit und das häufige Gefühl, emotional und körperlich überlastet zu sein, auch nach scheinbar geringen Anstrengungen. Zugleich ist eine tiefe und intensive Wahrnehmung der Welt, eine hohe Genuss- und Liebesfähigkeit, ein tiefes Verständnis für Kunst und Musik und die Liebe zur Natur bezeichnend.

 

Umgang mit Hochsensibilität

Besonders dann, wenn Menschen noch nicht wissen, dass sie hochsensibel sind, kann das erhöhte Erregungsniveau des Nervensystems dauerhaft für Überstimulationen sorgen, die normalsensible Menschen oft nur in Ausnahmesituationen empfinden.

Für viele Hochsensible ist diese Art von Dauerstress aber Alltag. Viele Eindrücke müssen verarbeitet werden. Die sehr gute Kenntnis der eigenen Belastungsgrenzen verbunden mit einem Grundgefühl von „Okay Sein“ sind die wichtigsten Kriterien, um aus der Spirale von Überreizung und Erschöpfung heraus zu kommen.

Das Wissen um die eigene Hochsensibilität löst bei vielen Menschen, insbesondere denen, die unter vielen Alltags-Belastungen leiden, einen sogenannten „Gebirgsketteneffekt“ aus. Plötzlich wird alles, was im Laufe des Lebens ein Gefühl von „Anders Sein“ ausgelöst hat, nachvollziehbar und verständlich, betrachtet man es vor dem Hintergrund der Hochsensibilität.

Informationen über Hochsensibilität sind ein wesentlicher und wichtiger Schritt für das (Wieder-) Erkennen der eigenen Fähigkeiten, die oft unter dem erlernten Anpassungsdruck gar nicht mehr wahrgenommen werden. Das stärkt den Selbstwert und ist Voraussetzung dafür, Isolation und Unsicherheit zu überwinden und gut „in der Welt“ zurechtzukommen. Hochsensible Menschen sind nicht schlechter oder besser als nicht-hochsensible Menschen! Vielmehr ist es unser aller Aufgabe, so zu leben, dass es zu unserer individuellen Persönlichkeit und unseren Bedürfnissen passt. Das ist die wichtigste Voraussetzung, hochsensibel zufrieden zu sein.

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