05 Apr Der Stellenwert von Intimität in der Partnerschaft?
Immer wieder höre oder lese ich diese Aussage (auch von Kolleg*innen):
„Wenn’s mit dem Sex nicht klappt, dann klappt’s auch mit der Beziehung nicht.“
Zugegeben, die Aussage klingt ja logisch und geradlinig. Und mit Sicherheit ist auch viel Wahres daran.
Dennoch verursacht dieser Satz bei mir ein unangenehmes Gefühl. Etwas in mir (und das schon lange, bevor ich mit Paaren arbeitete), rumort – Es widerstrebt mir, die Aussage in ihrer Kausalität einfach so hinzunehmen. Warum? Weil dieser Satz, meiner Einschätzung nach, sehr zerstörerisch für eine Liebesbeziehung sein kann.
Sexualität ist, wie alles im Leben, vielen Schwankungen unterworfen. Es gibt sexuell aufgeschlossene Menschen, mit einer relativ „konstanten“ Libido. Das sind oftmals Menschen, die beim Sex abschalten können, ihn zur Entspannung nutzen, als regelmäßigen Bestandteil ihres täglichen Lebens betrachten.
Es gibt sexuell sensiblere Menschen, deren Libido stärker von äußeren Umständen abhängig ist. Ganz im Gegenteil zu der erstgenannten Gruppe brauchen diese Menschen erst die Entspannung, um dann den Sex genießen oder sich überhaupt darauf einlassen zu können (je nachdem, wie selbstbewusst sie damit umgehen – es gibt kaum etwas Dramatischeres in Beziehungen als jemand, der/die sich zum Sex gezwungen fühlt und sich selbst dazu überwinden muss. Dies kann auf beiden Seiten sehr viel Vertrauen kosten – Also bitte: Tun Sie es nicht.).
Es gibt traumatisierte Menschen, Menschen mit Bindungsängsten oder Vertrauensschwierigkeiten, hingebungsvolle Menschen, anpassungsfähige Menschen, asexuelle Menschen, Menschen mit und ohne Behinderungen, religiöse Menschen, experimentierfreudige Menschen … Alle diese Menschen haben ihre eigenen Wege, Sexualität zu leben – oder es sein zu lassen. Und alle diese Wege sind okay.
Was bedeutet, dass die Sexualität nicht „klappt“? Wer definiert, wann und wie Intimität klappt, funktioniert, passt? Es kann ja für den einen Partner „klappen“, für die andere aber nicht. An welchen Normen und Werten werden wir uns in Zukunft orientieren? Welche Chancen und Botschaften verbergen sich darin, wieder zu einer lebendigen und intimen Partnerschaft zu gelangen?
Nein, es ist nicht so einfach, dass eine „kompatible“ Sexualität auch kompatible Partner*innen bedeutet. In dieser Anschauung machen wir oft den riesigen Fehler, das „Funktionieren“ von Sexualität in der Beziehung daran zu bemessen, wie regelmäßig und häufig Menschen in einer festen Partnerschaft Sex haben. Das ist eine völlig falsche und überzogene Annahme. Sexualität ist ohne Frage ein wesentlicher Bestandteil der allermeisten (aber nicht aller!) Liebesbeziehungen. Es ist in mancher Hinsicht für Menschen der Indikator für den Unterschied zu einer Freundschaft. Aus dieser Perspektive wäre der Sex das Klebemittel schlechthin für die funktionierende Liebesbeziehung, und dann ist auch verständlich, weshalb so viele Menschen sich zu Pauschal-Aussagen hinreißen lassen. Wenn aber andere Werte in der Beziehung wunderbar stimmen, sollte es dem Paar obliegen, die Beziehung mit allen darin möglicherweise enthaltenden Absprachen leben zu können, ohne sich selbst weniger als Paar wahrzunehmen.
Auch sollten wir nicht den Fehler machen, das Gelingen der Sexualität nur an dem/der einen Partner*in zu bemessen, der die größere Lust hat. Zum Einen laufen wir Gefahr, andere ebenso wichtige Beziehungsaspekte zu vernachlässigen, zum Anderen gibt es keine vernünftige Erklärung dafür, dies zu tun. Wir tun es aber automatisch, wenn wir glauben, dass eine gelingende Beziehung mit der Frequenz der darin stattfindenden sexuellen Begegnungen in Zusammenhang stünde.
Die oftmals unreellen Vorstellungen vom (permanenten) Sollen und Wollen, von Lust und Begierde ohne Rücksicht auf Individualität, Lebensumstände und unterschiedliche Lebensphasen verhindern echte Begegnung und machen ein authentisches Einlassen unmöglich.
Welchen Stellenwert wir der Sexualität heute beimessen und welche große Rolle Sex im gesellschaftlichen Alltag spielt ist das Ergebnis einer Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, die sehr notwendig und folgerichtig war. Aber:
Mittlerweile „gehört“ Sex so sehr und so dauerhaft dazu, muss sein, damit die Beziehung „gelingt“, sollte fester Bestandteil des Lebens sein, ist sowieso immer und überall präsent. Wir selbst sind ja sowieso ständig verfügbar, Sexualität stellt häufig keine Ausnahme dar. Diese Art Sex hat aber mit Begegnung und liebevoller Absichtslosigkeit nichts mehr zu tun.
Ein durchlässiger Mensch kann sich alleine durch diese inneren und äußeren Normative bereits so unter Druck gesetzt fühlen, dass die Lust schnell vergeht bzw. gar nicht erst aufkommen kann.
Diese Annahmen in Verbindung mit einem schlechten Gewissen, wenn bei Männern oder Frauen „nichts mehr geht“ (auch wenn dies ganz häufig eine gesunde und natürliche Reaktion ist – und ja, auch auf etwas, das an anderer Stelle in der Beziehung nicht stimmt), kann man als das Gegenteil von dem bezeichnen, was in einer sexuellen Begegnung das berühmte Feuer entfacht: Nämlich Raum, Luft und echte Nähe als der Funken, der für Wärme, Hingabefähigkeit, Geborgenheit, Resonanzfähigkeit, Wollen statt Müssen, Präsenz, Zärtlichkeit und Einfühlungsvermögen sorgt.
Es wäre doch schön, wir könnten uns von dem vielen „Müssen“ und „Sollen“ verabschieden hin zu einer Freiheit, die der Sexualität erlaubt, etwas Wohlwollendes, angenehm Berührendes und vor allem Stressfreies zu sein.
Etwas, das wir mit geliebten Menschen teilen wollen, und manchmal vielleicht auch wieder mehr als Geschenk denn als Pflichtprogramm betrachten.
…Nicht unbedingt als etwas durchgehend Heiliges – Aber auch nicht ganz so lapidar.
Es hieße, Sexualität wieder weniger außenorientiert zu begreifen als sich vielmehr zu erlauben, einfach mal zu sehen, was es jetzt gerade ist. Wir können ohnehin immer nur in diesem Moment entscheiden. Das bedeutet, im Fluß mit der eigenen, vielseitigen Sexualität zu sein anstatt Erwartungen zu erfüllen, von denen wir gar nicht recht wissen, wer sie eigentlich an uns stellt.
Es ist durchaus möglich, dass die Sexualität dann auch eine Tiefe erreicht, die bisher noch verborgen geblieben ist.
…Und das wäre etwas, das ich Ihnen von Herzen wünsche – Wenn Sie das möchten.
Herzlichst,
Ihre Vanessa Jilg
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