Was ist Liebe ? – Teil I: Die Vielfalt der Liebe

Was ist Liebe ? – Teil I: Die Vielfalt der Liebe


Dieser Beitrag ist der erste von drei verschriftlichten Teilen eines Vortrags, den ich am 06. Dezember 2016 für die Bar jeder Sicht, Kultur- und Kommunikationszentrum für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Intersexuelle, in Mainz gehalten habe. Zitieren ist erlaubt, jedoch nur unter Nennung meines vollen Namens und der direkten Verlinkung auf den Beitrag. 

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„Was Liebe, Sex und Heirat bedeuten, ist keineswegs überall gleich. Es ist nicht einmal in Deutschland gleich. Nicht einmal in meinem Freundeskreis. Nicht einmal zwischen zwei Menschen.“ (Wlada Kolosowa)

Wenn wir über Liebe sprechen wollen, müssten wir uns erst einmal einig sein, worüber wir reden. Denn die Chance, dass alle das Gleiche meinen, wenn wir vom vermeintlich Gleichen sprechen, geht gegen Null.

Eines der ersten Dinge, die ich in meiner Arbeit als Paartherapeutin und Beziehungsberaterin anrege, ist, sich mit der Tatsache vertraut zu machen, dass es durchaus möglich ist, dass der/die Andere eine andere Sprache der Liebe spricht als ich. Und ja, manchmal verstehen wir uns gegenseitig einfach nicht, obwohl wir in guter Absicht handeln. Ich ermutige dann gerne zum Versuch, mal ein wenig Transparenz in die „Du weißt doch wie ich’s meine“s zu bringen.

Denn die unausgesprochenen sind leider oft die starrsten Regeln, die Partner*innen in ihre Beziehungen als gemeingültig voraussetzen. 

 

Definitionsversuche

Was ist Liebe? In Lexika steht meist so etwas wie:

„…Die tiefste Wertschätzung und Zuneigung, die ein Mensch in der Lage ist, für einen anderen Menschen zu empfinden.“

Ich weiß nicht, wann Menschen anfingen, die Liebe definieren zu wollen, aber ich kann mir vorstellen, dass sie es schon lange taten und tun; vielleicht so lange wie sie den Tod und das Sterben erklären wollen. Es endete häufig in zahlreichen Versuchen, die Liebe irgendwie zu kategorisieren.

Zu den horizontalen Kategorien, die Liebe zum Beispiel in Nächsten-, Mutter-, Geschwister-, Vaterlandsliebe; in erotische, freundschaftliche und bedingungslose Liebe zu unterteilen, kamen auch bald die vertikalen Hierarchien. Früher waren die sehr starr festgelegt, zuerst kommt Gott, dann der Rest; heute sind wir etwas flexibler bzw. frei in unserer Wahl, wem wir welche Liebesrechte und welches Ausmaß und Wichtigkeit in der Liebe zugestehen wollen.

Im Laufe der Zeit kann sich das ändern und umgestalten;  und manche sagen, die einzig konstante Liebe sei die zu ihren Kindern oder ihren Haustieren. Das finde ich interessant, was macht diese Liebe so gnädig

 

Wie ist die Liebe in den Menschen gekommen?

Liebe und Verliebtheit sind schon lange ‚im‘ Menschen. 

Man kann heute die veränderten Reaktionen auf geliebte Mitmenschen im menschlichen Gehirn nachweisen, und zwar in einem der ältesten Teile.

Der Ort der Liebe ist laut Wissenschaft also das Gehirn (limbisches Belohnungssystem) und nicht das Herz. Das Hormon Dopamin spielt beim Verlieben, das Bindungshormon Oxytocin bei der Liebe eine entscheidende Rolle. Oxytocin soll auch für eine langfristige Paarbindung und Treue zuständig sein.

Liebe wird also nach Objekten, nach Graden, Zugehörigkeit und Verbindung, Hormonen und Gehirnaktivitäten geordnet und kategorisiert.

„Liebe ist eigentlich eine Gewohnheit, die sich aus sexuellem Begehren ergibt, da Begehren belohnt wird. Es funktioniert in der gleichen Weise im Gehirn, wie wenn Menschen von Drogen abhängig werden.“ (Jim Pfaus von der Concordia University)

 

Das erste existenzielle Bedürfnis:

Bindung – Erst empfangen, dann geben

Der Liebe, so schildert es der Therapeut Fritz Riemann, liegt immer eine Sehnsucht zugrunde.

Diese Sehnsucht sei im Urgrund menschlichen Seins zu verorten, und dem kann ich nur zustimmen. Aus meiner Erfahrung liegt entsprechend auch jedem (!) Beziehungskonflikt eine unerfüllte Sehnsucht zugrunde, und jede Verliebtheit ist die Resonanz der Sehnsucht des einen Menschen mit der Sehnsucht des anderen.

Der Urgrund dieser Sehnsucht hat, wie könnte es auch anders sein, mit unseren frühesten Erfahrungen in Liebesdingen zu tun, und dieser Urgrund ist die Blaupause dessen, wie wir später lieben. Wenn ich von Urgrund spreche, ist es das, was tief in uns schlummert und zu dem wir kognitiv meist keinen Zugang haben.

Es sind wirklich die frühesten, die allerfrühesten Erfahrungen von Sein und Existenz, Geborgenheit oder Einsamkeit, Angenommen Sein oder Abgelehnt Werden, Wärme oder Kälte, Resonanz oder Stummheit.

Gleichzeitig ist Liebe aber eben nicht nur der Hunger nach Bindung, sondern eben auch das Bedürfnis nach Fürsorge, was bislang weitaus weniger wissenschaftliches Interesse hervorgerufen hat als die Bindungsforschung an (Klein)- Kindern.

Fritz Riemann spricht von Liebe auch als einer Form des Gebens, und dies kann nur aus einem Lebensgrundgefühl von bedingungslosem Empfangen Dürfen entstanden sein. Der Wunsch nach Geliebt werden ist der Wunsch nach bedingungslosem Empfangen (Dürfen), so wie es ein Säugling erleben kann.

Anders gesagt…

…Liebe entäußert sich im Wunsch, der geliebten Person etwas ihr Angenehmes und somit mir Angenehmes (Lustprinzip) zu geben und im Wunsch, etwas von der von mir geliebten und mich liebenden liebenden Person zu empfangen.

Beides, Geben und Nehmen, sind Qualitäten, die tief in uns angelegt sind. Hätten wir zu wenig davon bekommen, wären wir nicht da. Es ist zum Einen die Qualität dessen, was gegeben und empfangen wird, und zum Anderen die Art des Ausgleiches, wie gegeben und empfangen wird. Eine liebesfähige Mutter oder Vater wird dem Kind bereitwillig mehr bzw. ausschließlich geben, als aktiv vom Kind erwartet wird, zurückzubekommen (natürlich bekommen Eltern etwas zurück, aber mehr durch die Art, wie das Kind einfach „da“ ist, es wird i.d.R. kein aktives Geben erwartet).

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Wohingegen in einer Liebesbeziehung häufig der gerechte Austausch von Geben und Nehmen immanent erwartet wird. Da reden wir viel eher von Beziehungskonten, Gleichgewicht und Waage halten. In der freien Wirtschaft würde man bei diesem ökonomischen Austauschprinzip von Win-Win-Situationen sprechen, und manch einer würde es vielleicht auch in einer Liebesbeziehung so ausdrücken. Die Wortwahl würde uns bei einem Säugling wahrscheinlich eher weniger einfallen.  

Zum Austausch kann vieles stehen, das hängt maßgeblich davon ab, wer welchen Angeboten welchen Wert beimisst. Beliebt sind Reden, Sex, Etwas füreinander tun (zB im Haushalt), usw. Aus dieser Betrachtungsweise heraus sind Liebesbeziehungen in erster Linie Geschäftsbeziehungen, auf gleichberechtigte Gegenseitigkeit ausgerichtet, so wie sie schon seit der Antike beschrieben wurde, unterteilt in Eros und Philia, begehrend-sinnlich oder freundschaftlich-verständnisvoll, weit entfernt von der bedingungs- und selbstlosen Liebe, Agape, die wir uns für uns selbst so häufig wünschen.

Diesem „Drinnenbleiben“, der Exklusivität und dem symbiotischen Austausch und Aufeinander ausgerichtet Sein frühester Bindungen (als Regression und Progression im Wechsel) ist wahrscheinlich das romantische Ideal der Neuzeit geschuldet.

 

Das zweite existenzielle Bedürfnis:

Wachstum und Expansion

Gleichzeitig bedeutet Leben Wachstum, Fortschritt, und das heißt wiederum die Tendenz nach Expansion.

Mit jedem neuen Tag entwickelt sich das Kind weiter, es erforscht neugierig die Welt, es geht hinaus und muss gleichzeitig gebunden bleiben, weil dadurch das Expandieren erst möglich wird und weil davon das Überleben abhängt.

Diese Ambivalenz / Polarität hört nie auf, wir hangeln unser Leben lang zwischen diesen beiden Polen. Autonomie und Bindung. Abhängigkeit und Expansion. Liebe und Angst, Hingabe und Grenzsetzung, Freiheit und Sicherheit.

Sie ist das Zentrum unseres Wesenskerns, es gilt, sie auszu-halten, zu (er)leben, sich zwischen den Polen zu bewegen.

Aus der Art, wie uns gelingt, diese Ambivalenzen zu integrieren, entwickeln sich unsere Bindungsmuster. Darum soll es in Teil II des Beitrages gehen. 


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