02 Jun Warum bessere Kommunikation (allein) nicht hilft.
Es gibt ja unzählige Beziehungsratgeber, die das Einmaleins der „guten Kommunikation“ rauf und runter beten.
Da ist die Rede von den berühmten „Ich – Botschaften“, dem „aktiven Zuhören“ oder (Klassiker!); dem „Sender-Empfänger-Modell“ nach Friedemann Schulz von Thun, in dem zwischen den vier Kommunikationsebenen (die berühmten „vier Ohren“) Sachinhalt, Appel, Beziehungshinweis und Selbstkundgabe differenziert wird. Fast jede*r kennt diese Modelle oder hat schon einmal davon gehört. Und es gibt noch reichlich mehr Modelle, die einen zum wahren Gesprächsexperten werden lassen sollten.
Wie sehr gelingt es aber im Beziehungsalltag, diese Modelle anzuwenden? Wie alltagstauglich ist der Versuch, möglichst „gewaltfrei“ zu kommunizieren, wenn einem innerlich die Hutschnur platzt, weil der/die Partner*in wieder einmal nicht zuhört, sich nicht an Abmachungen hält, nicht fühl- und greifbar ist, wenn man ihn/sie braucht..?
Was passiert, wenn man Paaren Kommunikationsregeln beibringt und sie bittet, diese doch zuhause einmal anzuwenden, ist zum Beispiel Folgendes:
Sehr bemühte Paare halten sich gewissenhaft an diese Regeln und schaffen es vielleicht auch, dass die Gespräche nicht sofort oder wenigstens nicht so schnell eskalieren. Oder sie bewegen sich, wenn das sowieso schon die ihnen eigene Dynamik ist, weiterhin auf der höflichen, aber distanzieren Ebene, die ihnen vertraut ist; echte Nähe will sich aber so nicht einstellen. Andere fühlen sich unwohl, unecht. Oder albern. Den meisten gelingt es mal mehr, mal weniger gut, und alle sind intelligent genug, den Sinn und Nutzen dieser sprachlichen Kniffe zu begreifen.
Und trotzdem ändert sich meist auf lange Sicht nichts an der vertrackten Beziehungssituation, deretwegen sie Unterstützung gesucht haben.
Das Problem von Paaren, die in meine Praxis kommen, ist nicht etwa „Wir können nicht kommunizieren“. Auch wenn sie dies manchmal so oder so ähnlich formulieren.
Eine (Liebes-)Beziehung ohne Kommunikation gibt es nicht! Der eine oder die andere Leser*in wird jetzt vielleicht sagen: ‚Das trifft auf unsere Beziehung nicht zu! Die wenigen Sätze, die wir am Tag miteinander reden, passen locker auf eine Serviette!‘ Menschen kommunizieren jedoch – natürlich im Rahmen ihrer mentalen und körperlichen Möglichkeiten – immer. Bewusst, unbewusst, aktiv, passiv.
Warum wissen wir so genau von den Regeln der besseren Kommunikation und können sie doch nicht dauerhaft anwenden?
Man kann sich ja vieles sagen, ohne ein Wort zu verlieren. Sie werden mir vielleicht zustimmen, dass es oftmals gerade das Unausgesprochene ist, was schwer wiegt und lange spürbar ist. Es ist nicht hörbar, aber immer fühlbar und manchmal förmlich sichtbar. Ich stimme also Paul Watzlawick zu: „Man kann nicht nicht kommunizieren“.
Also senden wir Signale und Botschaften auf vielerlei Art. In Form von Gesten, Blicken, Körperhaltung, der Atmung, mimischen Ausdrücken wie Augenrollen oder Stirnhochziehen, Schnaufen, Weinen, Lachen…
All dies können Gesten des Verstehens, des Nicht-Verstehens oder des Verstanden-Werden-Wollens sein. Man könnte es auch als gezielte und dennoch meist unbewusste Manipulation bezeichnen, um wahrgenommen, angenommen und ‚gesehen‘ zu werden.
Das können schon Babys: ‚Wenn ich lächle, ernte ich ein Lächeln und löse Freude aus. Wenn ich brülle, bekomme ich etwas zu essen.‘ Oder: ‚…werde ich ignoriert, löse Verärgerung aus’… usw. Ein ständiges Schwanken zwischen Macht und Ohnmacht; zwischen Streben nach Selbstausdruck und sozialer Akzeptanz. Führt man sich vor Augen, dass das Überleben des Kindes davon abhängig ist, ob und wie wohlwollend auf es reagiert wird, kann man verstehen, warum auch Erwachsene oft dramatisch reagieren, wenn sie sich nicht wahrgenommen fühlen. Das Kind in uns sucht diesen überlebenswichtigen Kontakt, um Liebe, Schutz und Geborgenheit zu bekommen. Ein anderer Teil in uns sucht den Kontakt, um Liebe weitergeben zu können.
Für eine erfolgreiche Anwendung müssten Kommunikationsmodelle davon ausgehen, dass wir im Kern immer vernünftig, rational und reflektiert sind. Kurz: Erwachsen. Und das stimmt nicht.
Wir sind auch erwachsen. Wir sind aber auch Teenager, Kleinkind, Säugling. Zahllose Erinnerungen und Erfahrungen sind Puzzleteile unseres Selbst; die sehr frühen sind dabei so tief in unser Unbewusstes gesunken, dass wir keinen direkten Zugang mehr dazu haben. Trotzdem ist das Gelernte fest in uns verankert. Wir formten daraus unsere Weltsicht und unsere Vorstellungen von uns selbst. Hier sitzt das Kind, das mit Kommunikationsregeln nichts am Hut hat, sondern gesehen werden will, geliebt werden will, und auch Spaß und Freude haben will!
Kommunikationsregeln sind sinnvoll und wichtig. Es stimmt, dass Ich-Botschaften deeskalierend wirken und die gewaltfreie Kommunikation eine wunderbare Art ist, auf liebevolle Art und Weise für die eigene Bedürfniserfüllung zu sorgen. Voraussetzung hierfür ist meiner Erfahrung nach jedoch der Zugang zu diesem Anteil in uns, der, ohne etwas dafür tun zu müssen, wahrgenommen werden will.
Wenn wir dort annehmend und fürsorglich hinschauen, müssen wir nicht mehr bei unserem Partner / unserer Partnerin so sehr darum kämpfen, dass er/sie es tut. Und dann klappt es auch besser mit der Kommunikation.
Literatur zu diesem Thema:
Thomas A. Harris (1975): Ich bin o.k. Du bist o.k.
Eric Berne (2002): Spiele der Erwachsenen
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